Integrity -- VV are the end 7"

Wie bereits in der "Lemuria / Cheap Girls -- Split 7"-Kolumne angekündigt, gibt es noch zwei weitere Beiträge zu meiner diesjährigen Polen-Tschechien-Slowakei-Rundreise im Sommerurlaub. Im zweiten Teil gibt es neben den alltäglichen Einblicken auch noch ein kleines Interview mit Ivan vom Hardcore-Punk-Label Burka for Everybody.

Gladiator Shop in Bratislava

Meine vier Spananier und ich latschen guter Dinge durch die zentrale Fußgängerzone Bratislavas und geben uns ganz und gar unserem dump-doofen Touri-Dasein hin -- sprich: ziellos herumschlendern, Leute und vermeintliche Sehenswürdigkeiten angaffen und die Landessprache ignorierend Quatsch einkaufen. Irgendwann entdecken wir einen Laden mit jeder Menge Metal-Fanartikeln: T-Shirts von Slayer bis Agnostic Front, Platten von Behemoth bis Unearth. Die Freude ist groß, schließlich haben wir in subkultureller Hinsicht noch nicht sonderlich viel erlebt auf unserem Trip. Wir kramen also ein wenig und suchen nach Schnäppchen. Als meine Kollegen gerade mit dem Verkäufer den Preis irgendwelcher Nietenarmbänder diskutieren, entdecke ich in der hinteren Ecke des Schuppens eine Treppe, über die ich zu einem zweiten Verkaufsraum gelange.

Kaum bin ich in diesen eingetreten, gafft mich ein kahlrasierter Pumperotschi an, der mit seinem Look -- Lonsdale-Polo und ausgeleierte Platinum-Hose -- wie einer dieser unterbelichteten Schulabbrecher aus dem Olvenstedt der späten Neunziger wirkt. Um einem Gespräch vorzubeugen, stammele ich vorsichtshalber: "I'm just looking around ..." Als ich mich dann etwas näher umsehe, kriege ich den Mund vor Staunen gar nicht mehr zu -- zwischen Alpha Industries, Fred Perry und Lonsdale gibt's in diesem Hinterzimmer hauptsächlich Klamotten von Thor Steinar ("Wir fahren gegen Engeland" und jede Menge Zeux mit dem alten Runenlogo) und Ansgar Aryan ("Strength through Joy", "Aryan Resistance" etc. pp.). Was mich dabei aber am meisten überrascht ist der Style dieser Klamotten: Kunterbunter Hip-Hop-Techno-Schrägstrich-Ed-Hardy-Mist. Aber auf schlecht. So Hauptstadtrocker-Style, nur eben mit irgendwelchen schlechten englischen (!) Nazisprüchen drauf. Dass sich stramme Nationalisten -- die Spiegeltrinker von den Bushaltestellen Meckpoms mal ausgenommen -- heutzutage tatsächlich diesen Rave-Quatsch anziehen, kann ich mir nicht wirklich vorstellen, aber gut ...

Ich also rucki zucki wieder in den vorderen Verkaufsraum und Ansage gemacht: "Hinlegen und rausgehen, Leute. Das hier is'n Naziladen, und wir kaufen hier weder irgendwelche bekloppten Nietenarmbänder, noch sonst irgendein Mist, kapisch?" Der dem T-Shirt nach zu urteilen Pagan-Metal hörende Verkäufer stammelt noch irgendwas von wegen "Good quality bracelets, my friends", aber da haben wir die Ladentür schon hinter uns zugezogen.

Die Story von den vier polnischen Nazis, die wir zwei Tage zuvor mit 14-Words-T-Shirts auf dem Gelände von Auschwitz-Birkenau dabei gesehen haben, wie sie dumm-dreist Poserfotos auf den Schienen, vor der Selektionsrampe und in den Baracken gemacht haben, erzähle ich vielleicht das nächste Mal. Auf jeden Fall war dieser Aspekt unseres Trips -- also die Nasendichte vor Ort -- weniger lustig.
Illustration vom Mitreisenden Luis De Mano >>> http://luisdemano.com/
Jo, und nun gibt es noch die obligatorische Single-Vorstellung und zwar in Form eines Mini-Interviews mit einem meiner spanischen Mitreisenden: Ivan. Der Typ ist nicht nur ein echt geiler Freak, sondern auch ein wandelndes Subkultur-Lexikon. Unter anderem arbeitet er bei einem Zine namens Chilena Commando und dem Label Burka For Everybody mit. Viel Spaß.

Label: Magic Bullet Records
Extra: Totenkopf-Etching
Note: Kommt voll so rüber wie zu Zeiten von Humanity is the devil und Season in the size of days!

Schmelzer: Okay, dann erzähl mir doch zuerst von dem Label, das ihr macht.

Ivan: Genau, das Ding heißt Burka for Everybody und wir veröffentlichen hauptsächlich Re-Releases von alten Platten, die uns gefallen. Stilistisch ist das alter Punk-Hardcore oder auch Psychedelic-Zeugs.

Schmelzer: Aber ihr seid eigentlich alles Hardcore-Punk-Kids, oder?

Ivan: Klar, Alter. Auch wenn wir mit dem Label eher ein Rock'n'Roll-Publikum ansprechen, gilt mein Hauptinteresse nach wie vor dem Hardcore-Punk. Auch die Ästhetik und die Ideologie des Labels sind ganz klar auf Hardcore-Punk ausgerichtet.

Schmelzer: Lass uns ein wenig über das Format der 7" Single sprechen. Wie hat sich die Bedeutung der Single im Vergleich zu früher in deinen Augen verändert?

Ivan: Früher waren Singles viel billiger, und man verkaufte auch einfach mehr von den Dingern. Heute sind natürlich die Verkaufszahlen runtergegangen und der Markt ist unglaublich stark differenziert. Wenn du also jetzt Vinyl-Singles mit geringer Auflage rausbringst, verlierst du eigentlich nur Geld damit. Deshalb hat die Produktion von Singles ziemlich nachgelassen. Heute kaufen die Kids Platten und Singles im Internet und wissen genau, was sie wollen. Früher hast du Singles gekauft, um Gruppen kennenzulernen. Das ist ein großer Unterschied.

Schmelzer: Aber ihr bringt weiterhin Singles raus auf Burka for Everybody, oder?

Ivan: Ja, hin und wieder. Wir haben ein paar gemacht und werden in Zukunft bestimmt auch welche von neuen Gruppen rausbringen, aber keine Re-Releases. Es müsste aber schon was ganz Besonderes sein.

Schmelzer: Okay, dann erzähl uns was von der Single, die du vorstellen wolltest -- deine Empfehlung.

Ivan: Jo, und zwar fahr ich voll auf die Integrity VVe are the end 7" ab. Ist zwar nicht mehr ganz neu, aber der absolute Brecher. Sind nur zwei Songs auf der A-Seite drauf und ein geiles Etching auf der B-Seite. Dazu natürlich diese ganzen okkulten Bilder und Symbole im Artwork -- herrlich. Das ist eine der besten Platten, die sie in den letzten Jahren gemacht haben. Kommt voll so rüber wie zu Zeiten von Humanity is the devil und Season in the size of days, kurzum ein Bastard aus Slayer, Dicharge und Iron Maiden. Ich find's einfach nur genial. Dazu diese Texte -- leicht behämmert eben, wie von einem Jugendlichen, der in einem Trailer-Park wohnt. Wirklich ganz großartig!

Schmelzer: Kannst du vielleicht noch eine geile spanische Band empfehlen, also irgendwas was Aktuelles?

Ivan: Ja, klar. Also meine derzeitige Lieblingsband aus Spanien heißt Destino Final. Die kommen aus Barcelona und machen eigentlich recht typischen Hardcore-Punk zwischen Japcore und D-Beat. Der Wahnsinn, ich schwöre. Musikalisch wirklich nichts Besonderes, aber geil. Die Platte haben sie auf La Vida Es Un Mus rausgebracht.


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Integrity -- VV are the end 7" (Magic Bullet Records), 2010