Lemuria / Cheap Girls -- Split 7"

Mein diesjähriger Sommerurlaub bestand in einer Polen-Rundreise -- ich korrigiere, Polen-Tschechien-Slowakei-Rundreise: Zehn Tage mit vier partywütigen spanischen Freunden bei gefühlten 40 Grad in einem Mazda 323 mit defekter Klimaanlage auf fiesen Panzerplattenstraßen durchs östliche Europa. Hört sich beschissen an, war aber ein Heidenspass, weil: Roadtrip mit Freunden gleich lustig und so. Da wir einige fiese Nummern erlebt haben, dachte ich mir, in den nächsten drei Kolumnenbeiträgen je ein kleines "Highlight" inklusive einer mit diesem Urlaub in Zusammenhang stehende Single zu präsentieren. Los geht's ...

"Vegetable Inside" in Bratislava

Reist man mit einem Fleischesser und zwei "Fischvegetariern" -- die nicht nur Fisch mampfen, sondern auch gern mal das Hühnchenfleisch aus'm Salat pullen und sich trotzdem als Vegetarier verstehen -- gestaltet sich eine anständige Ernährung doch eher schwierig. Erklärtes Ziel meiner vier Compañeros bestand fast immer darin, die typische Küche unserer jeweiligen Reiseziele zu probieren. Somit hieß die Parole: immer rein in diese schmierig-kitschigen Tourifallen-Restaurants, in denen die Speisekarte entweder nur aus Abbildungen oder unverständlichen Google-Translator-Übersetzungen der Namen und/oder Beschreibungen der jeweiligen Gerichte bestehen. In Bratislava kehrten wir jedenfalls wieder in eine jener Spelunken ein, um "mal was richtig authentisch Slowakisches zu essen". Während sich die anderen auf deftige Küche freuten, bereitete ich mich innerlich wieder mal auf Pommes und grünen Salat vor. Als ich den Kellner dann nach vegetarischen Suppen befragte, hätte mir klar werden sollen, dass ich dort lieber nichts bestellen sollte.

Ich: "Are any of these soups vegetarian?"
Er: "This one, this one and this one." (zeigt dabei auf drei der vergilbten Bildchen der Suppenseite in der Speisekarte.)
Ich: "But these don't look very vegetarian ... by 'vegetarian' I mean without meat or other stuff from animals."
Er: "Yes, yes. No meat. Chicken is okay, or not?"
Ich: "No chicken is not okay."
Er: "Then I can only offer these two soups." (zeigt auf die zwei unteren Suppenbildchen)
Ich: "Okay, what is in these soups then?"
Er: "No meat, sir, just fish."
Ich: "Okay, forget about the soups."

Verärgert nahm er dann die Bestellung meiner spanischen Freunde auf und funkelte mich dabei böse von der Seite an. An diesem Punkt war klar, dass Mister "Chicken-is-okay,-or-not?" und ich an diesem Abend keine Freunde mehr werden würden. Gefrustet blätterte ich die laminierte Speisekarte durch und fand dann zu meiner Überraschung zwischen den ganzen Klops- und Bratenbildchen doch noch eine Seite mit der (wahrscheinlich von Google Translator produzierten) Überschrift "Vegetarisch Gerichte - Fleichlosse Kost". Ich entschied mich für das zweite der drei Bilder -- auf Nachfrage am Nachbartisch erklärte man uns, dass es irgendwelche Teigtaschen mit Pilzfüllung seien -- winkte Mister "Chicken-is-okay,-or-not?" heran und tippte auf das nicht sonderlich appetitanregende Bild.
"Can I have this vegetarian dish, please? Thank you", bat ich ihn mit einem aufgesetzten Lächeln.

Nach einer halben Ewigkeit lieferte Mister "Chicken-is-okay,-or-not?" dann endlich und knallte mir eines dieser tollen "traditionellen" Holzschüssel-Slash-Tellerersatz-Dinger auf den Tisch. Das Ganze sah verdammt verdächtig aus: Die Teigtaschen klebten im besten Schulküchen-Style aneinander und sahen so aus, als hätte man sie gerade aus einem 50-Liter-Bottich gekratzt, dessen Inhalt eigentlich schon für den Kompost bestimmt war. Das Unheimlichste aber war die weiße Glibber-Sauce, in der jede Menge verkohlte Schinkenstücke schwammen ...


Ich: "One moment, please. I think we have a problem here."
Er: "Problem? What problem?"
Ich: "There is ham on my vegetarian dish."
Er: "Yes, that is traditional way to serve dumplings."
Ich: "But I'm not interested in the traditional way. I ordered a vegetarian meal and you brought something that is drenched in fat and covered with ham."
Er, nun spürbar aufgebracht:
"Yes, I know, but look the picture."
Er blättert ungeduldig in der Speisekarte, hält mir die Seite mit der "fleischlosen Kost" vor die Nase und tippt wieder und wieder auf das zweite Bild. Mit viel Fantasie erkenne auch ich jetzt ein paar dunkle Flecken auf den Teigtaschen -- die verkohlten Schinkenstückchen.
"Here, look, there is ham, too."
Ich, der Verzweiflung nahe:
"Okay, okay, okay, I get it. I just thought that the dishes on the vegetarian menu are made of vegetables only."
Er, in vollem Ernst:
"But it is vegetarian. Vegetable inside (the dumplings)."

Da sich Mister "Chicken-is-okay,-or-not?" hartnäckig weigerte, das Mistgericht wieder wegzuräumen oder mir eine neue Portion aus dem 50-Liter-Bottich ohne Speckwürfelsauce zu servieren, musste ich mich an diesem Abend mit ein paar Blättchen vom für alle bestellten Salatteller begnügen.
Was von diesem Restaurantbesuch blieb, war ein Insider-Witz ("Kannst die Kohlroulade ruhig essen, Schmelzer, is bestimmt vegetable inside!") und die Erkenntnis, dass "traditionelle", "authentische" oder gar "landestypische" Küche in Mittel- und Osteuropa für Veggies fast nie die richtige Wahl sind.

Label: No Idea Records
Extras: Grau-weiß-schwarz-rosa marmoriertes Vinyl
Note: Guter Einstieg ins Lemuria-Universum. Aber Vorsicht, ihr harten Hardcore-Burschen da draußen: Lemuria haben zwar eine LP auf Bridge Nine, machen aber trotzdem das, was die meisten von euch als "Mädchenmusik" verschmähen!


Nun aber zur ersten Single meines Polentrips, der Lemuria / Cheap Girls -- Split 7": Und zwar waren wir am 16. August in Krakau unterwegs, wo wir beim Schlendern durch das jüdische Viertel ein Poster des am selben Tag stattfindenden Konzerts von Lemuria und Cheap Girls sahen. Selbstverständlich wurden dann die abendlichen Pläne zur Stadtbesichtigung kurzerhand gestrichen und durch einen Konzibesuch ersetzt.

Vorbildlicher Weise hatte die Show -- wie angekündigt! -- bereits gegen acht angefangen, sodass wir nur noch ein paar Songs von Lemuria mitbekamen, als wir gegen 21:30 Uhr in der Location aufschlugen. Das, was wir dann aber noch zu sehen bekamen, war allererste Sahne: Die Band spielte ohne Bühne vor einem sehr gemischten Publikum -- waschechte Metaler, Tokio-Hotel-Style-Emos, SxE-Kids und DIY-Punks im Schunkel-Pit vereint -- und es herrschte eine ausgelassene Stimmung. Auf Platte fand ich Lemuria bisher immer etwas dröge, aber live konnten sie mich an diesem Abend mit ihrem energiegeladenen 90ies-Indie-Emo-Punk-Mix wirklich überzeugen.

Ehrensache, dass ich mir nach dem Konzi dann ihre Split-7" mit Cheap Girls zulegte. Lemuria bieten darauf zwei exklusive Stücke und versprühen in diesen wieder einmal den für sie typischen Bubblegum-Postpunk-Pop-Charme, inklusive abwechselndem Damen-Herren-Gesang, melodischen Schrammelgitarren und schmissigen Mitsing-Parts. Es ist schon ein kleines Kunststück, so ernst gemeinte Worte wie "I'm so terrified, so fucking terrified / I'm a single mother lover" ("Single Mother") in einen derart unbeschwert daherkommenden Pop-Refrain zu packen.

Die mir bisher unbekannten Cheap Girls überraschen mit einer Nummer im Stile früher Dinosaur Jr -- rockiger 90ies Alternative-Sound mit gehöriger Punkkante also. Weiß definitiv zu gefallen und macht Lust auf mehr.

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Lemuria / Cheap Girls -- Split 7" (No Idea Records), 2011