Złodzieje rowerów -- Rozproszenie 7"

Nach langer Pause kommt hier nun endlich wieder ein 7"-Review samt Abschluss der Osteuropa-Rundreise-Serie. Musikalisch geht es um die letzte Platte der polnischen Band Złodzieje rowerów, im Beiwerk um das wahrscheinlich beste Veggie-Restaurant in Prag ...

Das Lehka Hlava in Prag

Oh Mann, Prioritäten setzen zu müssen ist manchmal echt die Krätze, weil natürlich alles andere darunter leidet. So auch dieser Blog. Anstatt euch nun vorzuheulen, was ich alles in letzter Zeit erledigen, abarbeiten, hinbekommen und runterreißen musste, hab ich mir vorgenommen, einfach den dritten Teil der Osteuropa-Rundreise-Serie zusammenzukloppen und danach wieder regelmäßiger zu posten. Ob es klappt, bleibt abzuwarten.

Preiswerte Hostels im Zentrum von Prag haben vier große Nachteile:

  1. Das Toilettenpapier ist alle. Dauernd.
  2. Die Bettwäsche stinkt wie acht Wochen nicht gewechselt.
  3. Im Zimmer nebenan hausen unter Garantie ein paar widerliche Party-Franzosen, die im stockbesoffenen Zustand um drei Uhr nachts damit anfangen, das Mobiliar aus dem Fenster zu donnern.
  4. Man sieht viel zu viele Touris und fühlt sich beschissen, weil man selber einer ist.

Aber sie haben auch zwei unschlagbare Vorteile:

  1.  Sie sind preiswert.
  2. Sie befinden sich im Zentrum von Prag.

Nachdem wir an unserem ersten Tag in Prag die klassischen Touri-Spots abgelaufen sind und uns dabei kräftig gelangweilt haben -- Karlsbrücke schön und gut, aber das nächste Mal ohne Menschen, bitte schön! -- besuchten wir am zweiten das Sedletz-Ossarium. Dabei handelt es sich um eine Kirche, die durch die Aufbewahrung von rund 40.000 menschlichen Skeletten berühmt geworden ist, wobei die Knochen von etwa 10.000 Menschen künstlerisch verarbeitet wurden, um Dekorationen und Einrichtungsgegenstände für das Kirchengebäude zu formen. Prädikat: Für Nicht-Gruft-oder-Death-Metal-Fans nur bedingt empfehlenswert, weil stinkenlangweilig, touriverseucht und auch ein wenig ekelig.


Nach dem Abstecher zu dieser Satanisten-Wallfahrtsstätte suchten wir dann im Prager Zentrum vergeblich nach dem Day After-Plattenladen ... Die Website des Labels dazu: "Our recordstore has been moved to the new location since the 1st of may! The new store in Karlova street is in centre of Prague, very near Old Town Squarre (...)" Keine Ahnung, welcher 1. Mai damit gemeint war (wahrscheinlich der 01.05.1985), wie lange die Labelseite schon nicht mehr aktualisiert wurde und wie oft der Laden in der Zwischenzeit schon umgezogen ist ... Fakt war: unter besagter Adresse gab es nur räudige Touri-Shops. Aber egal. Denn: Uns stand an diesem Tag noch das kulinarische Highlight der Reise bevor -- ein Besuch in einem voll vegetarischen Restaurant namens Lehka Hlava (Easy Head/Clear Head)! Wir mussten zwar etwas suchen und auch ein wenig auf einen Tisch warten, wurden dann aber durch eine sehr angenehme Atmosphäre, eine äußerst nette und auskunftsfreudige Bedienung und einige der besten veganen Gerichte meines zwanzigjährigen Vegetarier-Daseins entschädigt. Ich selbst entschied mich für sehr einfache aber unglaublich köstliche Menüoptionen:

  • Hot ginger tea, 0,5l - 45 CZK
  • (v) Red lentil soup with vegetables and coconut milk, choice of bread or rice - 45 CZK
  • (V) Bulgur risotto with stir-fried tempeh, spring vegetables and sun-dried tomato and peanut pesto - 155 CZK
  • (V) Raw "cheesecake" with strawberry sauce -raw substitute for traditional cheesecake made with cashew nuts, walnuts, raisins, coconut butter and honey - 85 CZK

Alles Volltreffer und mit umgerechnet dreizehn Euro noch relativ preiswert. Quality Food sozusagen -- Matschige Papp-Burger mit verschrumpelten Bio-Pommes und ranziger Erdnusssauce, labbrigem Wassersalat und No-Name-Cola à la Yellow Sunshine und Konsorten sucht man im Lehka Hlava jedenfalls vergebens.

Fazit: Wenn in Prag, dann: Clear Head Restaurant (Lehka Hlava, Borsov 2, Prag, www.lehkahlava.cz)

Nun zur Platte ...

Ich dachte, dass es ganz gut passen würde, diese kurze Osteuropa-Rundreise-Serie mit einer Empfehlung aus den besuchten Landstrichen abzuschließen. Obwohl ich zugegebenermaßen zu wenig Experte in Sachen Ex-RGW-Punk/Hardcore bin, um einen wirklich fundierten Tipp anzubieten, möchte ich euch doch die polnische Band Złodzieje rowerów ans Herz legen. Die letzte Single Rozproszenie der Combo aus dem nordostpolnischen Zambrow hat mich nämlich schwer beeindruckt. Die Truppe besteht zwar schon seit 1993, ist mir trotz etlicher Veröffentlichungen und Touren aber erst durch die drei Songs auf dieser Single aufgefallen. Es ist ihre Abschiedsplatte. Leider. Denn diese Mischung aus emolastigem Neunziger-Chugga-Chugga-Hardcore, hochmelodischen Gitarren und jeder Menge Energie und Dynamik war schon immer genau mein Ding. [Schublade auf] Złodzieje rowerów klingen für mich wie Falling Forward, Endpoint, Four Walls Falling und Verbal Assault [Schublade zu], kommen aber trotz ihrer Orientierung an alten Helden herrlich frisch und knackig daher.

Label: Refuse Records
Extra: Aufgenommen in den Hertz Studios in Bialystok. Klingt zwar deshalb nicht wie Vader, Behemoth und Konsorten, punktet aber auf jeden Fall mit einem Hammer-Sound.
Note: Seltenheitswert ... eine Abschiedsplatte, die Lust auf den Back-Katalog macht.


Top-Produktion, Lyrics abseits der üblichen Belanglosigkeiten und schicke Aufmachung verstehen sich ja von selbst bei einer Platte aus dem Hause Refuse Records, sodass Rozproszenie rundum eine gelungene Scheibe ist. Einzig der polnische Gesang war anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, störte mich nach mehrmaligem Hören aber überhaupt nicht mehr.

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Złodzieje rowerów -- Rozproszenie 7" (Refuse Records), 2010