Hannover. Epizentrum der Mittelmäßigkeit.

Der Blogtitel ist geklaut. Und stimmen tut er auch nicht. Wenn mensch aus einer unwirtlichen Betonwüste aus dem Land der Frühaufsteher mit dem zynischen Beinamen "grünste Stadt Deutschlands" stammt, sollte mensch eigentlich bei der Frage nach der Attraktivität anderer Städte schweigen. War ich bisher immer der Meinung gewesen, Hannover wäre mindestens so unterirdisch wie die Ansammlung seelenloser Einkaufszentren und deprimierender Plattenbausiedlungen, die sich um den Hasselbachplatz scharen, muss ich jetzt – nach einem zweiwöchigen Aufenthalt in der niedersächsischen Landeshauptstadt – meine Meinung revidieren: Hannover ist nicht geil, aber auch nicht so ungeil, wie ich immer dachte.

Wie mensch das als eindimensionaler Punk aus Kreuzberg nun mal so macht, durchforstete ich vor Reiseantritt erstmal das Internet nach interessanten Locations in H-Town: In erster Linie also vegane Imbissmöglichkeiten, Punkerschuppen, NS-Gedenkstätten und -Mahnmale, Plattenläden.
Eigentlich etwas bitter, wenn mensch Mitte dreißig noch dieselben Sachen in einer Stadt sucht, die einen schon mit sechzehn interessiert haben. Ist wahrscheinlich der Fluch aller Punk-Kids da draußen. Tunnelblick, hurra!
Die Highlights waren dann wie zu erwarten folgende:
  • Loving Hut: Veganer Asia-Imbiss mit nicht sonderlich subtilem Sektenflair und Berliner Preisen
  • Hiller: Veganes Restaurant ohne Sektenflair mit leicht erhöhten Preisen (kein Reis mit Scheiß!)
  • Mittwochs-Vokü in der Korn: Eine Legende in der Legende und verdammt lecker
  • Infoveranstaltung über Gezi-Park-Proteste in der Korn: Zweisprachige Politveranstaltungen sind ein Graus. Diese hier bildete leider keine Ausnahme.
  • Gedenkstätte Bergen-Belsen: Nach der Hälfte des Dokumentationszentrums – bei der mensch sich gerade mal die Nutzung von Bergen-Belsen als Kriegsgefangenenlager erarbeitet und der Input zum eigentlichen Konzentrationslager noch nicht mal begonnen hat – war ich nach zwei Stunden ob der schieren Masse der Informationen und der Intensität der Eindrücke an meine Grenzen gelangt. Erneuter Besuch geplant.
  • Ehrenfriedhof am Maschsee*-Nordufer: War während des Maschseefest abgesperrt. Keine Ahnung, warum, aber irgendwie wurde ich den Eindruck nicht los, die Verantwortlichen fürchteten, was passieren könnte, wenn alkoholisierte Deutsche ein Mahnmal für von der Gestapo ermorderte Kriegsgefangene erblicken.
  • 25 Music: Okayer Plattenladen mit großer Vinylabteilung, unfreundlichen Mitarbeitern und deftigen Preisen. Kann mensch sich mal anschauen, aber mehr auch nicht.
  • Monster Records: Schmankerl! Endgeiler Plattenladen. Relativ zentral gelegen, seit einem Jahr im Bizz. Ohne Ende Vinyl: viel Punk, Hardcore, Indie, DIY-Shit, aber auch Hiphop, Electro und so weiter. Super sympathischer Verkäufer mit AVAIL-Aufkleber an der Kasse. Ich hab nur die Singles durchgeschaut, und das allein hat eine gute Stunde gedauert. Ergo: Es gibt definitiv eine ganze Menge gutes Zeug bei Monster Records. Ein paar interessante Teile fand ich leicht überteuert, dafür gab es in der Ein-Euro-Abteilung das ein oder andere Schmuckstück. Unterm Strich ein unbedingt empfehlenswerter Laden. Preistechnisch etwas teurer und vom Angebot her konventioneller, gleicht Monster Records von Ansatz und Feeling her dem Berliner Übershop Bis Aufs Messer.
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* Was ich nicht so wirklich klarkriege: An diesem von den Nazis angelegten See steht die Skulptur eines nackten Fackelträgers auf einer fast zwanzig Meter hohen Steinsäule. In der einen Hand hält er eine Fackel, die andere hat er zum "römischen Gruß" erhoben. Unten an der Säule erklären ein paar Sätze in Frakturschrift irgendeinen Deutsch-Dünnschiss von wegen "Wille zum Aufbau gab werkfrohen Händen den Segen der Arbeit -- Freude, Gesundheit und Kraft spende fortan auch der See. 1934-1936". Darüber prangt ein Reichsadler mit Ehrenkranz, aus dem dankenswerter Weise das Hakenkreuz herausgemeißelt wurde. An der Rückseite der Säule hat die Stadt Hannover eine Erklärungstafel angebracht, auf der es heißt: "Die nackte Figur nimmt Bezug auf den Hitlergruß und das olympische Feuer."




Nimmt Bezug auf den Hitlergruß ... Was für ein Bullshit. Klar kenne ich den Unterschied zwischen Saluto Romano und Hitlergruß. Im Kontext des NS ist er allerdings so gut wie nicht existent. Und so sieht das von einem NSDAP-Mitglied erschaffene Nackt-Stark-Gesund-Kunstwerk für mich wie ein Mensch mit astreinem Hitlergruß aus. Ehrlich gesagt, frage ich mich ernsthaft, wieso noch keine politisch aktive Industriekletterin oder sportlich motivierte Antifaschistin da hochgekraxelt ist und den verschissenen Heil-Hitler-Arm abgesägt hat. Interessierte können bei der Lektüre dieses Artikels hier ein wenig abfeiern, in dem der bereits 1925 (!) in die NSDAP eingetretene und 1944 in der Liste der Gottbegnadeten aufgenommene NS-Künstler Hermann Scheuernstuhl zu einem unpolitischen, ja zu einem Linken verklärt wird.